Firmengeschichte
Das Stammgeschäft in der Müglitztalstraße 63 in Dohna (bei Dresden) ist seit Gründung der Firma am 1. August 1977 der Hauptsitz und Produktionsort der Bäckerei.
Neben dem ursprünglichen Haus wurde die Bäckerei zwei mal erweitert und bekam zusätzliche Parkflächen. Wohnten hier früher noch Familien in den Wohnungen, wird das Gebäude heute inzwischen komplett für die Bäckerei genutzt.
Wie alles began
Manfred Sachse wuchs zwar in der Bäckerei seines Vaters Gottfried in Frauenhain auf und lernte damit schon als Kind, was es heißt Bäcker zu sein, wollte jedoch ursprünglich andere Wege gehen. So lernte er den Beruf Dreher und studierte anschließend das Ingeneurswesen.
Zusammen mit seiner Frau Eva zog er nach Dresden und arbeitete dann in der Rationalisierung eines sozialistischen Betriebes der DDR.
In der DDR konnte man aber mit Rationalisierung von Produktionen nicht viel anfangen, ging es doch vornehmlich darum Arbeitsplätze zu schaffen, die durch Rationalisierungsmaßnahmen weggefallen wären. So arbeitete Manfred praktisch nur für den Papierkorb, was ihn stark frustrierte.
Nach ein paar Jahren hatte er dann genug und überlegte, welche anderen Möglichkeiten es gäbe um beruflich erfolgreich zu werden und etwas sinnvolles zu schaffen.
Schließlich besonn man sich wieder auf das Backen und dachte sich: „Gegessen wird immer!“
Wieder einer tot vom Konsum-Brot!
In der DDR herrschte Mangelwirtschaft und vorallem ein Berufsstand hatte da eine Sonderstellung: Die Bäcker.
Nicht nur das man sie brauchte um die Nachfrage nach Lebensmitteln zu decken, nein, die eigene industrielle Produktion von Backwaren war dermaßen miserabel, dass selbst die Spitzen der SED-Führung lieber beim Bäcker einkauften, als das furchtbar schmeckende „Konsum-Brot“ zu essen.
Dies führte dazu, dass es Bäckermeistern wieder erlaubt wurde Privatfirmen zu gründen und sich damit selbstständig zu machen – und das im sonst so sozialistischen Staat, in dem Privatbetriebe enteignet und zu volkseigenen Betrieben umgewandelt wurden.
Manfred erkannte die Chance und begann eine Ausbildung zum Bäckermeister, träumte von seiner eigenen Bäckerei. Frau Eva-Maria war von dem Gedanken nicht sonderlich begeistert, wusste sie doch was für eine Schufterei das war. Doch Manfred konnte sie beschwichtigen, in dem er beteuerte:
Wir machen alles anders!
Wehret den Anfängen!

Die Bäckerei um 1977 mit Tochter Annegret. Man beachte: Montags war geschlossen und es gab eine Mittagspause.
Man schaute sich also nach einer guten Möglichkeit um, eine neue Bäckerei aufzumachen – und wurde bald fündig.
In dem etwas abgelegenen Dohna stand eine kleine Bäckerei zum Verkauf. Die Frau des Eigentümers wurde krank, so musste der kleine Laden schließen, welcher praktisch nur aus Mann und Frau bestand.
Mit einem Kredit von der Bank übernahm Bäckermeister Manfred Sachse mit seiner Ehefrau Eva-Maria und anfangs zwei Beschäftigten die Bäckerei, welche zu diesem Zeitpunkt aus nicht viel mehr als einem alten Kohleofen, einem Kneter, einer handbetriebenen Presse und einer Schlagmaschine bestand. Dies alles wurde in einem Raum nicht größer als eine Einraumwohnung gepresst, mit einem kleinen Laden vorn dran.
„Mach nur ein paar Brote, Brötchen und Kuchen“, riet ihm der ehemalige Eigentümer. Aber Manfreds Vater Gottfried sah das anders: „Hau die Bude voll!“, war sein Rat. Schließlich wäre es peinlich schon am ersten Tag einen leeren Laden zu präsentieren. So haben Manfred und Maria geschlagene 3 Tage !!! vorgebacken und dann schließlich am 1. August 1977 den Laden eröffnet.
Der Vorbesitzer traute seinen Augen kaum, als an diesem denkwürdigen Montagmorgen plötzlich rießige Schlangen vor der Ladentür standen. Neugierig eilten Leute herbei und fragten: „Was ist denn das für eine Demonstration hier?“- ihnen wurde schnell berichtet, dass der neue Bäcker aufgemacht habe. Und so verbreitete sich die Meldung wie ein Lauffeuer. Kein Wunder also, dass der Laden schon am frühen Nachmittag – trotz intensiver Vorbereitungen – komplett ausverkauft war. Um Brote oder Brötchen aus dem Karren ins Ladenregal zu legen war keine Zeit mehr. So wie die Ware in den Laden rollte, war sie praktisch schon wieder verkauft. Dies sollte ein Dauerzustand werden, der einwas deutlich machte:
Es muss alles besser werden!
Nachts backen, tags über verkaufen und organisieren, abends planen und Sauerteig ansetzen – Arbeit rund um die Uhr. Frau Eva-Maria wusste schon vorher um die Schufterei in einer Bäckerei und bestand darauf, dass man einen Weg finden musste um die Arbeit so zu organisieren, dass man nicht den ganzen Tag nur am arbeiten war. Also wurde es umorganisiert.
Die Produktionsplanung wurde schon einen Tag im Voraus gemacht, Sauerteig in einer aufwandschonenden Einstufenführung angerichtet und schnell neue Maschinen gekauft. Ein Schnellkneter aus einer geschlossenen Bäckerei aus Dresden, eine zweite Schlagmaschine und ein Fettbackgerät aus einer geschlossenen Konditorei in Bautzen, ein Teigteil- und Wirkgerät aus Riesa und die dritte, frisch produzierte, neue Teegebäckmaschine direkt vom Hersteller. Damit lies sich schon deutlich besser arbeiten, es gab nur ein Problem: Man benötigte auch mehr Platz.
1978 zog der Vorbesitzer eine Etage weiter nach oben und man konnte den frei gewordenen Raum nutzen um eine Konditorei einzurichten. Ab nun an hatte man sich den Titel „Feinbäckerei“ verdient, welcher Bäckerei und Konditorei in einem bedeutet. Neues Personal wurde eingestellt und die Kundschaft erfreute sich an der steigenden Auswahl und Verfügbarkeit von Back- und Konditoreiwaren. Meter lange Schlangen waren nach wie vor Alltag, jedoch gab es nun auch immer etwas zu kaufen – meistens zu mindest.
Die Irren der DDR
Sozialistische Planwirtschaft, diese zwei Worte sagen eigentlich schon alles. Es wurde nicht nach Bedarf produziert, sondern nach vorgelegten Planzahlen. Preise für Brot und Brötchen waren festgeschrieben. So wunderte es nicht, dass Bauern ihren Schweinen frischgebackene Brote zu fressen gaben, es kostete ja nichts, jedenfalls nicht mehr als das übliche Futter.
Milch und Butter wurden subventioniert und waren damit ebenfalls sehr billig, Schlagsahne und Schlagkrem jedoch sehr teuer. Um wirtschaftlich zu arbeiten und dennoch leckere Torten herzustellen, musste man also in die Trickkiste greifen. So kam man schnell auf die Idee Milch und Butter „zurück zu emulgieren“ um daraus wieder Schlagsahne oder Creme zu machen. Ein irrsinniges Vorhaben eigentlich, kann man beides doch viel einfacher direkt herstellen. Aber so wurde halt mit großem Aufwand Milch und Butter in einen Turbinen getriebenen Schaumschläger geschlagen, beheizt und wieder gekühlt, bis nach 24 stündiger Reife dann endlich gewünschtes Endprodukt heraus kam – meistens zu mindest.
Stimmte etwas mit der Temperatur, den Zeiten oder dem Wetter nicht kam Quark dabei raus. Eines Tages war es dann soweit, Abends um 22:00 Uhr schaute Manfred nach seiner Schlagsahne und stellte fest, es war Quark! Da es aber ohne Schlagsahne keine Torten gab, fuhr es an diesem späten Abend noch los in die Molkerei und kaufte eine teure Kanne Schlagsahne mit den Worten: „Heute nehme ich eine Kanne und dann täglich eine weitere.“ Voller Sorge musste man nun die Preise für Torten erhöhen und hatte Furcht, die Kunden würden sie nicht mehr kaufen. Doch glücklicherweise freute sich die Kundschaft über die nun täglich produzierten und qualitativ hochwertigen Torten und war bereit einen entsprechenden Preis dafür zu zahlen.
Ein eigenes Telefon in einer Mangelwirtschaft? Das hatten nur die wenigsten und so musste man sich den Anschluss mit dem Nachbarn teilen. Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Bestellung bei Ihrem Lieblingsbäcker aufgeben und plötzlich geht Oma Erna ran. Oder es kommt ständig das Besetztzeichen, weil die Nachbarn den Telefonhörer nicht richtig aufgelegt hatten. Nicht selten trieb dies Bäckermeister Manfred in den Wahnsinn, worauf er beschloss dem ein Ende zu setzen. Den verantwortlichen Behörden drohte er mit Betriebsschließung, sollte die Firma nicht endlich einen eigenen Anschluss bekommen. Damals wurden Bäckerein noch wirklich benötigt, deshalb konnte man sich derartige Aktionen auch erlauben. Und siehe da, das eigene Telefon kam schon bald.
Man kommt mit dem Backen immer noch nicht hinterher
Trotz vieler Verbesserungen, neuer Maschinen und mehr Personal standen sich die Leute nach wie vor die Füße vor dem Laden platt. Schuld daran war vorallem der alte, 4 herdige Dampfofen, welcher noch mit Kohle befeuert wurde und indem man nur backen konnte, wenn gerade richtig Glut war. Die Lösung des Problems lag also auf der Hand: Es musste ein neuer, moderner und leistungsfähiger Ofen her.
1982 war es dann soweit. Der Vorbesitzer zog aus dem Haus aus, nun stand noch mehr Platz zur Verfügung. Ein neuer Kredit wurde bei der Bank aufgenommen und ein ehrgeiziger Plan entwickelt: Die Konditorei, vormals nur ein kleiner Raum nicht viel größer als eine Besenkammer, wurde um gut 60m² erweitert. Wände wurden eingerissen und die Bäckerei vergrößert. Nun war auch mehr als reichlich Platz für einen neuen Ofen da. Mit viel Aufwand wurde eine neue Starkstromleitung nur für die Bäckerei gelegt, denn der neue Ofen sollte mit Strom betrieben werden. Zusätzlich musste noch ein eigenes Fundament für den Ofen gegossen werden, was in DDR bedeutete, dass man per Hand drei W-50 Kipplaster in die selbstgeschachtete Schalung schaufeln durfte. Wäre man zu langsam gewesen, man hätte einen schönen Betonblock auf der Ladefläche der Laster gehabt. Zum Glück jedoch hat dies ohne Probleme funktioniert. Anders sah es damit aus, überhaupt soviel Beton zu bekommen. Es war gerade die Zeit der „Zementkrise“ und aus den ursprünglich geplanten 4 Wochen Betriebsschließung wurden 3 Monate.
Schließlich aber hatte man es noch geschafft vor der totalen Pleite wieder zu eröffnen und konnte die Kundschaft ein weiteres mal mit noch größerer Auswahl und vorallem einer deutlich verbesserten Verfügbarkeit überraschen.
Digitale Pioniere im Osten
In den 80er Jahren wuchs die Firma beständig weiter. Weiteres Personal wurde eingestellt, neue Maschinen gekauft und die Produktion damit deutlich angekurbelt. Viel produzieren bedeutet aber auch viel planen und viel Buchhaltung. Man benötigte etwas um der Zettelwirtschaft Herr zu werden, etwas das in der Lage war Rezepte, Preise und vieles weitere in kürzester Zeit zu berechnen. Man brauchte einen Computer.
Auf einen eigenen Telefonanschluss konnte man ja schon viele Jahre warten, auf einen eigenen DDR-Computer praktisch ein ganzes Leben, von den monströsen Preisen mal abgesehen. Noch dazu waren die Computer der DDR in keinerlei Hinsicht konkurrenzfähig zu ihren Westpendants, außer vielleicht wenn es darum ging den Raum zu beheizen.
1986 wurden Manfred und Eva von ihrem Onkel Werner in den Westen eingeladen und durften damit ausnahmsweise über die Grenze. Als sie dort das erste mal einen Supermarkt betraten, trauten sie ihren Augen nicht. Prall gefüllte Regale mit Waren aller Art, man kam sich vor wie im Schlaraffenland. Die Damen blieben recht schnell in der Bekleidungs- und Kosmetikabteilung „kleben“, Manfred jedoch stand mit offenem Mund vor den Regalen der Technikabteilung. Heimcomputer zu erschwinglichen Preisen und mit praktisch sofortiger Verfügbarkeit, ein Traum wurde wahr. „Nimm das Ding doch einfach mit.“, sagte Onkel Werner, der das lange Warten auf seine Ostverwandschaft in dem Supermarkt leid war. Manfred lies sich das nicht zweimal sagen und orderte per Quelle-Versand einen Commodore C128 inklusive Drucker, welcher später mit einer Sondergenehmigung auch tatsächlich in den fernen Osten geliefert wurde.
Zwar war dieser Rechner technisch schon längst wieder überholt (Commodore Amiga, IBM PC), im Osten jedoch, im „Tal der Ahnungslosen“ glich diese 8-Bit Rechenmaschine einem Wunder. Zwei 5,25″ Diskettenlaufwerke mit jeweils 360 kb Speicher, ein Hauptprozessor mit rund 2 MHz und 128kb Hauptspeicher, in dem noch das Betriebssystem geladen werden musste – für heutige Verhältnisse gerade zu lächerlich, waren diese Merkmale damals phenomänal.
Von nun an wurde sämtliche Planung und Buchhaltung über diesen Rechner erledigt. Was vorher eine abendfüllende Beschäftigung war, erledigten ein paar Programme nun innerhalb weniger Minuten. Doch das ist nicht alles. Der C128 war der direkte Nachfolger des legendären C64 und konnte auch sämtliche Spiele seines Vorgängers abspielen. So kam es nicht selten vor, dass das kleine 15m² Büro von lauter Nachbarskinder überfüllt wurde, die eifrig auf den kleinen Röhrenmonitor blickten und fanatisch an den Joysticks herumrüttelten.
Und dann kam die Wende...
Seit der Firemgründung 1977 hatte sich enorm viel getan. Aus einem kleinen 5-Mann-Betrieb wurde ein stabiles, mittelständisches Unternehmen. Sämtliche Kredite waren abbezahlt, die Räumlichkeiten frisch eingerichtet, Maschinen und Geräte in gutem Zustand und vor dem Laden stand man immer noch Schlange. Und selbst wenn man mit der Idiologie und dem Wirtschaftssystem der DDR auf Kriegsfuß stand, aus rein wirtschaftlicher Sicht der Bäckerei lief alles super.
Doch dann änderte sich alles.
Mit der Wiedervereinigung 1990 wurde eine völlig neue Martktsituation geschaffen. Statts einer Mangelwirtschaft gab es plötzlich ein Überangebot von verschiedenen Waren. Neue Supermärkte schossen wie Pilze aus dem Boden, Einzelgeschäfte wurden uninteressant. Gleichzeitig gab es massive Abwanderungen in den Westen und hohe Arbeitslosigkeit durch etliche Firmenschließungen. Strom wurde teuer, Öl wurde billig.
All dies führte dazu, dass der Betrieb der Bäckerei plötzlich ein Verlustgeschäft wurde. Das betreiben des Elektro-Ofens war nun sehr teuer, Schlangen vor dem Laden waren Geschichte. Hohe Kosten und kaum Einnahmen, Bäckermeister Manfred sah die Bäckerei an ihrem Ende.
Im Juni 1990, vor der Währungsunion, hamsterten die Leute nocheinmal was das Zeug hält. Danach kaufte plötzlich niemand mehr Brot oder Brötchen, denn die Froster waren alle voll. Bäckermeister Manfred zog die Notbremse und schloss den Laden – Betriebsurlaub.
Mit seiner Frau und seinen Töchtern setzte er sich an den Tisch und verkündete: „Ich will die Bäckerei schließen, es hat keinen Sinn mehr.“ Doch die Töchter Annegret und Marlis, welche in der Bäckerei aufwuchsen, lernten und arbeiteten schauten ihn entsetzt an: „Was wird dann aus uns? Was sollen wir machen?“. Manfred schnaufte und überdachte alles nocheinmal. „Dann müssen wir das Geschäft eine Nummer größer machen.“, war seine Antwort.
Alles oder Nichts
Statts den Betrieb zu schließen, entschloss sich Manfred also zu einem radikalen Umbau der Firma mit gewaltiger Expansion. Wieder musste er zur Bank um einen gigantischen Kredit aufzunehmen und wieder musste die Firma grundsätzlich umgebaut werden. Eine Herkulesaufgabe mit ungewissem Ausgang und sollte der Plan scheitern, es wäre der Ruin der Familie gewesen.
Nach langen, nervenaufreibenden Verhandlungen mit einem Vertreter der Bank wurde der Kredit schließlich genehmigt. Mit dem neuen Kapital wurden schnell neue Filialen in den umliegenden Supermärkten eröffnet, Lieferwagen für den Transport geleast und neue Maschinen aus dem Westen gekauft. 2 Mehlsilos im Keller ersetzten von nun an den aufwändigen Mehltransport in schweren Säcken und lies die Produktion noch effizienter werden.
Nach einem Monat Betriebsurlaub eröffnete die Feinbäckerei Sachse wieder ihre Pforten und der Plan ging auf. Zwar kamen kaum noch Kunden in den kleinen Laden des Stammgeschäfts, die Filialen in den Supermärkten jedoch erzielten gute Umsätze. Die Firma war gerettet – vorerst.
Zwar konnte man jetzt von den Einnahmen leben und das Geschäft weiter betreiben, jedoch lagen die Zahlen immer noch weit unter dem was man erwartet und mit der Bank ausgehandelt hatte. So blieb nichts anderes übrig als noch einen Schritt weiter zu gehen und die Firma noch viel größer zu machen.
Backen auf losem Boden
Um weitere Filialen zu eröffnen reichte die Kapazität der bisherigen Backstube nicht mehr aus. Man brauchte mehr Öfen, mehr Platz, mehr Personal um mehr produzieren zu können. Lange hatte man schon mit Architekten, Behörden und Baufirmen gesprochen und 1992 war es dann soweit – Spatenstich für den Anbau der heutigen Bäckerei an das Stammgebäude.
Betriebsurlaub war nicht mehr drin, die Bank wollte schließlich monatliche Tilgungsraten für ihren Kredit. Also musste der Umbau bei laufendem Betrieb erfolgen, ein Unterfangen was heute wohl kaum noch möglich wäre.
So wurde zuerst einmal Platz gemacht und die alte Waschküche, Scheune und Garage im Hof abgerissen. Auch der Garten wurde nun Bauland. Manfred versprach seiner Frau Eva dafür einen Dachgarten auf der neuen Bäckerei anzulegen. Anschließend wurde das Fundament gesetzt und das neue Gebäude darauf gebaut, bis vor zur alten Backstube. Dort hörte man jedoch erst einmal auf.


An der Stelle hinter der alten Backstube sollte eine Tiefgarage gebaut werden, weshalb es ersteinmal weit nach unten ging. Man entschied sich für neue Öfen welche mit dem nun relativ billigen Öl befeuert werden sollten. Diese konnte man über die offene Wand problemlos anliefern und einbauen. Als die neuen Öfen, Gärunterbrecher, Spiralkneter und vielerlei anderes dann fertig eingebaut und betriebsbereit waren, zog man eine provisorische Wand mit einer Tür am offenen Ende der neuen Bäckerei hoch und machte einen Durchbruch zur alten Backstube. Ab da an wurde in der neuen Bäckerei gebacken und alle Waren über eine kleine Behelfsbrücke in die alte Backstube transportiert – ein abenteuerlicher Zustand der ein viertel Jahr andauern sollte. Der „alte“ Elektro-Ofen wurde ausgebaut und die Brötchenproduktion zwischenzeitlich in die Backstube der Schwester nach Struppen verlegt.
Das ganze Vorhaben war eine enorme logistische Herausforderung, jedoch lief alles nach Plan und die neue Backstube wurde Ende 1992 fertiggestellt.


Eine Maschine, wie es sie kein zweites mal gibt
Mit der neuen Backstube und der damit enorm gestiegenen Produktionskapazität wuchs die Firma weiter. Neue Filialen wurden eröffnet, weiteres Personal eingestellt, somit war das schlimmste Überstanden und das Geschäft lief.
Ein Schuh drückte aber noch gewaltig: Noch immer musste der Sauerteig per Hand gemacht werden. Dies war nicht nur ein hoher Arbeitsaufwand – man musste Tags über den Sauer ansetzen und Abends weitere Stufen durchführen – auch konnte vieles schief laufen. Falsche Temperaturen, Zutaten falsch ausgewogen, Zeiten nicht richtig beachtet und schon war der Sauerteig futsch. Also schaute sich Manfred nach einer besseren Lösung um und wurde fündig.
Der Chef der Firma Reimelt, ein echter Patriot, wollte Maschinen für den Mittelstand bauen um die Wirtschaft im Osten anzukurbeln. Unter anderem wollte er relativ kleine Sauerteiganlagen konstruieren und in Serie fertigen lassen. Man stellte schnell Kontakt her und fasste den Plan, dass die aller erste Referenzanlage in unserer Bäckerei in Dohna in Betrieb gehen sollte. 1993 war es dann soweit. Die Anlage wurde in Pulsnitz gefertigt und konnte mitte des Jahres bei uns in Betrieb genommen werden.
Ab da an wurde der Natursauerteig von einer Maschine hergestellt, welche automatisch läuft, immer für ein perfektes Klima sorgt und Zutaten von selbst auswiegt – bis heute.
Leider aber scheiterte die Serienfertigung dieser Maschinen, weswegen nie wieder eine solche Maschine gebaut wurde. Unsere Sauerteiganlage ist damit praktisch ein Unikat.
Trouble in den Neunzigern
Wer viel macht, macht auch viel verkehrt. Dieses Sprichwort sollte sich in den nächsten Jahren noch schmerzlich bewahrheiten.
Hatte man mit den Öl-Öfen doch gehofft das „Ofen-Problem“ gelöst zu haben, stellte sich schnell heraus: Die neuen Öfen sind eine technische Katastrophe, unzuverlässig und störungsanfällig mit furchtbaren Backergebnissen. Manfreds Illusion von der wunderbaren Westtechnik wich der nüchternen Erkenntnis: Diese Öfen waren so nicht zu gebrauchen, ja selbst der alte Elektro-Ofen war um Meilen besser. Und als Manfred die neuen Öfen reklamieren wollte, weil sie nicht hielten was der Hersteller versprach, ging Letzterer gleich pleite – man blieb also auf dem Schaden sitzen. Nun hatte man also einen gewaltigen Kredit von der Bank im Nacken um neue Öfen zu kaufen und dann stellt man fest: Man hat damit praktisch Schrott gekauft. Wären die Öfen Raketen, Manfred hätte sie auf den Mond geschossen. So aber blieb nichts anderes übrig als in den schmerzhaften Apfel zu beißen und die teuren Öfen ein weiteres mal durch bessere Modelle zu ersetzen.
Aber auch an anderer Stelle lief man gegen Wände, wo man dachte eine Tür zu sehen. So wurden neue Filialen aufgemacht, welche mehr Geld verbrannten als sie einbrachten. Wollte man z.b. eine neue Filiale in Dresden Prohlis eröffnen, so wurde diese noch am Vorabend der Eröffnung durch einen Wassereinbruch fast ruiniert. Die Polizei meldete sich Nachts bei Manfred und teilte mit: Aus ihrem Geschäft läuft ein Bach. Mit viel Mühe und Not richtete man es dann dennoch in Rekordzeit wieder her um am Ende festzustellen: Es verirrt sich kaum ein Kunde in diesen Laden. Ein weiteres Beispiel war die Eröffnung einer Filiale im weit entfernten Glashütte. Man hatte große Hoffnungen, stellte jedoch letztendlich fest, dass es sich nicht lohnt die Backwaren so weit zu transportieren.
Das "Jahr 2000"-Problem
Die Bäckerei entwickelte sich rasant von einem Kleinbetrieb mit weniger als 10 Angestellten zu einer mittelständischen Firma mit einem Personalbestand von mehr 50 Leuten. Doch Zeit zum Ausruhen gab es keine.
Der enorm gestiegene logistische und bürokratische Aufwand musste irgendwie effizient bewältigt werden, sonst wäre man der Lage nicht mehr Herr geworden. Der anfänglich vorteilhafte C128 Computer konnte das nicht mehr bewerkstelligen, es musste wieder aufgerüstet werden. So wurden neue PCs mit Microsoft DOS gekauft und ein Netzwerk eingerichtet. Um auf die Bäckerei zugeschnittene Programme zu haben, brachte sich Manfred selber das programmieren bei und schrieb seine eigene Software. Jetzt war er nicht mehr nur Chef, Buchhalter und Bäckermeister, unzählige Nächte lang saß er nun zusätzlich noch vor dem PC und programmierte.
Schließlich kam man zu dem Punkt, an dem auch normale Registrierkassen nicht mehr ausreichten. Zeiterfassungsdaten für die Lohnberechnung, Verkaufs- und Retourenzahlen für die Planung und vieles weitere wurden bis dahin aufwändig mit Zettel und Stift notiert und später in die Computer eingegeben. Mit eins, zwei Läden war dies noch kein Problem, bei mehreren Filialen aber ein Ganztagsjob. Also entschied sich Manfred für Computerkassen, bei denen alle Daten digital übertragen werden konnten.
Nun hatte Manfred schon etliche Haare dabei gelassen seine Software für die Bäckerei zu programmieren und Kassensoftware gab es zu kaufen. Also suchte er sich eine Firma in Dresden und kaufte eine fertige Lösung. So weit so gut, die Kassen funktionierten, das Problem schien gelöst. Doch dann stellte sich heraus: Die Software arbeitete nur mit 2 stelligen Jahreszahlen. Man steuerte auf das Jahr 2000 zu und wusste, die Kassen würden das Jahr 1900 melden, wenn man das Programm nicht anpassen würde. Also fragte Manfred nach einem Update und bekam eine erschütternde Antwort: Er müsse praktisch für jede Kasse eine neue Version des Programms kaufen, zum Vollpreis versteht sich. Das lies Manfred nicht auf sich sitzen und beschloss: Dann programmier ich halt auch die Kassensoftware selber! Ende 1999, nach nur 14 langen Nächten und wieder etlichen Haaren weniger, hatte es Manfred noch rechtzeitig geschafft und konnte nun seine Software einsetzen. Das Jahr 2000 konnte kommen.